Antitumoreffekte von Cannabinoiden: Quo Vadis

Von Manuel Guzmán

Manuel Guzmán ist Professor für Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Complutense in Madrid, Mitglied der Königlichen Akademie der Pharmazie Spaniens und Mitglied des Vorstands der Internationalen Vereinigung für Cannabinoid-Medikamente. Seine Forschung konzentriert sich auf die Untersuchung des Wirkmechanismus und der therapeutischen Eigenschaften von Cannabinoiden, insbesondere im Nervensystem. Diese Arbeit hat zu mehr als hundert Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften sowie zu mehreren internationalen Patenten über die möglichen therapeutischen Anwendungen von Cannabinoiden als Krebsmedikamente und neuroprotektive Wirkstoffe geführt. Er arbeitet routinemäßig mit wissenschaftlichen Prüfungs- und Finanzierungsstellen zusammen.

Die mögliche antitumorale Wirkung von Cannabinoiden ist einer der Aspekte der aktuellen biomedizinischen Forschung zu diesen Molekülen, der in den Medien am meisten Beachtung gefunden hat.

Ein kürzlich in der Zeitschrift Cureus veröffentlichter Bericht (DOI: 10.7759/cureus.3918) ergab, dass die in sozialen Netzwerken erscheinenden Nachrichten über die hypothetische Heilkraft von Cannabis bei Krebspatienten (I) zehnmal schneller zugenommen haben als diejenigen, die sich auf Standard-Therapien gegen Krebs beziehen, (II) dass unter den unzähligen alternativen Therapien gegen Krebs Cannabis-Therapien am häufigsten diskutiert werden (23,5 %) und (III) dass die Berichte in den allermeisten Fällen falsch sind (die Autoren der Studie schätzten, dass auf 118 veröffentlichte Nachrichten eine wahre Nachricht kam).

Ein weiteres deutliches Zeichen für die Popularität dieses Themas ist die große Zahl der auf der Website der CANNA-Stiftung veröffentlichten Artikel zu diesem Thema. So haben mehrere Kollegen (Guillermo Velasco, Cristina Sánchez, Mariano García de Palau, Saoirse O'Sullivan, Mike Tagen - ich bitte um Entschuldigung, falls ich jemanden vergessen habe) zusammen mit mir die letzten Jahre damit verbracht, unser Wissen über die antitumorale Wirkung von Cannabinoiden und die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen zu verbreiten.

In diesem Artikel werde ich versuchen, den Stand dieses Themas zu aktualisieren, wobei ich mich auf die "rohe" klinische Realität (Patienten) und nicht auf die oft "illusorische" präklinische Forschung (Mäuse) konzentriere. Wie ich bereits in zwei früheren Artikeln dargelegt habe, zeigt uns die bittere Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass bei den Krankheiten mit der höchsten Inzidenz bzw. Morbidität und Mortalität in unserem Umfeld, wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen, die zahlreichen an Mäusen durchgeführten Therapiestudien in der Praxis keinen Erfolg bei der Übertragung auf Patienten hatten. Ja, leider sind kleine Labormäuse pathophysiologisch viel einfachere, robustere Tiere als wir.

Seit vielen Jahren häufen sich die wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass THC und andere Cannabinoide in präklinischen Krebsmodellen antitumorale Wirkungen entfalten, und zwar über einen sehr komplexen Mechanismus, der je nach Tumorart eine Kombination aus mindestens (I) Hemmung der Zellproliferation, (II) Induktion des Zelltods durch Apoptose, (III) Hemmung der tumoralen Angiogenese und (IV) Hemmung der Zellinvasion und Metastasierung umfasst. Obwohl bei diesen Studien viele verschiedene Arten von Tumorzellen verwendet wurden, konzentrierten sich viele von ihnen auf Glioblastomzellen. Außerdem haben die wenigen klinischen Studien, die bisher mit Cannabinoiden durchgeführt wurden, nur Patienten mit Glioblastom einbezogen. Daher werde ich mich auf diese Art von Tumor konzentrieren.

Was ist ein Glioblastom? Gliome werden traditionell als Tumoren des Nervensystems definiert, die die histologischen und ultrastrukturellen Merkmale von Glia (d. h. der Zellen, die die Neuronen in unserem Nervensystem begleiten) aufweisen. Die WHO klassifiziert Gliome derzeit nach verschiedenen Kriterien, wie z. B. nach ihren zellulären Merkmalen (Art der Gliazellen), ihrem Grad der Bösartigkeit (von 1, dem niedrigsten, bis 4, dem höchsten) und ihren molekularen Merkmalen (Auftreten der einen oder anderen genetischen Mutation). Unter allen Gliomen ist das Glioblastom (bis vor kurzem "Glioblastoma multiforme" oder "Astrozytom 4. Grades" genannt) der häufigste primäre Hirntumor bei Erwachsenen und eine der aggressivsten Krebsarten (zusammen mit z. B. dem Adenokarzinom der Bauchspeicheldrüse 4. Grades). Dieses dramatische Verhalten der Glioblastome ist vor allem auf ihre hohe Proliferations- und Invasionsfähigkeit, ihre sehr hohe Akkumulation multipler onkogener Mutationen und ihre erstaunliche Fähigkeit zurückzuführen, sich der antineoplastischen Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie zu entziehen.

Die Erstlinienbehandlung des Glioblastoms, das so genannte "Stupp-Protokoll", besteht heute aus drei aufeinander folgenden Phasen: (I) maximale chirurgische Resektion der Läsion; (II) Chemo-Strahlentherapie mit dem Antitumormittel Temozolomid (75 mg/m2/Tag während der Bestrahlungszeit); (III) adjuvante Chemotherapie mit Temozolomid selbst (6 Zyklen mit 150-200 mg/m2/Tag an 5 von 28 Tagen). Leider hat dieses Behandlungsschema nur sehr wenig Einfluss auf den Verlauf der Krankheit. Das mediane Gesamtüberleben ab der Tumordiagnose und nach der Behandlung mit diesem Protokoll beträgt somit 12-16 Monate. Im üblichen Fall eines Fortschreitens oder Wiederauftretens nach der Erstlinienbehandlung mit dem Stupp-Protokoll beträgt die Gesamtüberlebenszeit 3-9 Monate. Dutzende von klinischen Versuchen wurden mit verschiedenen Chemotherapeutika sowie immunologischen oder Gentherapien durchgeführt, um das Stupp-Protokoll zu verbessern, aber die Erfolge waren sehr gering. Daher ist es unbedingt notwendig, neue therapeutische Maßnahmen zu entwickeln, um die Behandlung von Glioblastom-Patienten zu verbessern.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Schwerpunkt der Antitumortherapien von unspezifischen Chemo- und Strahlentherapien hin zu "personalisierten" und molekular gezielten Interventionen entwickelt. Im Zusammenhang mit Cannabinoiden ist bekannt, dass die Aktivierung eines definierten molekularen Ziels (die Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2) durch eine Familie selektiver Verbindungen (THC und andere Agonisten dieser Rezeptoren) das Wachstum von Glioblastomzellen in Maus- und Rattenmodellen durch recht gut bekannte Wirkmechanismen wirksam und sicher hemmt. Präklinische Untersuchungen zeigen außerdem, dass THC die therapeutische Wirksamkeit von Temozolomid und Strahlentherapie bei Mäusen verstärkt. Darüber hinaus ist eine der wünschenswertesten Eigenschaften jeder Antitumortherapie ihre selektive Wirkung auf bösartige Zellen. In dieser Hinsicht löst THC die Apoptose von Glioblastomzellen aus, ohne das Überleben normaler, nicht bösartiger Zellen wesentlich zu beeinträchtigen.

Unser Wissen über die Antitumoraktivität von Cannabinoiden weist jedoch noch große Lücken auf, die künftige präklinische Forschungen erfordern, um Therapien zu optimieren, die in die Klinik übertragbar sind. Zum Beispiel sollten wir (I) unser Verständnis der molekularen Mechanismen der antitumoralen Wirkung von Cannabinoiden verbessern; (II) die genaue Rolle des Endocannabinoidsystems bei der Entstehung, dem Wachstum und dem Fortschreiten von Tumoren definieren; (III) experimentelle Therapien auf Cannabinoid-Basis entwickeln, die die größte Wirksamkeit und Sicherheit für die Behandlung des Glioblastoms (und anderer Krebsarten) bieten; und (IV) molekulare Marker identifizieren, um das Ansprechen auf potenzielle antitumorale Therapien mit Cannabinoiden vorherzusagen.

Bislang wurden drei kleine klinische Studien an Glioblastom-Patienten durchgeführt, um die potenzielle antitumorale Wirkung von Cannabinoiden zu untersuchen. In einer in Spanien durchgeführten Pilotstudie der Phase 1a (veröffentlicht im British Journal of Cancer im Jahr 2006; DOI: 10.1038/sj.bjc.6603236) wurden 9 Patienten mit rezidiviertem Glioblastom intrakraniell mit THC behandelt. Obwohl aufgrund der geringen Größe der Kohorte keine statistisch relevanten Schlussfolgerungen gezogen werden konnten, erwies sich die Behandlung als sicher, und einige Patienten schienen darauf anzusprechen, indem sie eine geringere Tumorwachstumsrate (bestimmt durch bildgebende Verfahren im Gehirn) und eine geringere Expression von Malignitätsmarkern in Tumorproben zeigten.

Anschließend wurde in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-1b-Studie, die von dem britischen Unternehmen GW Pharmaceuticals organisiert wurde (veröffentlicht im British Journal of Cancer im Jahr 2021; DOI: 10.1038/s41416-021-01259-3) wurde insgesamt 21 Patienten (12 in der Sativex-Gruppe, 9 in der Placebo-Gruppe) mit rezidivierendem Glioblastom das oro-mukosale Medikament Sativex (THC/CBD-Verhältnis 1:1) zusammen mit der Standard-Adjuvanz Temozolomid verabreicht. Man kam zu dem Schluss, dass Sativex ein akzeptables Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil aufweist und keine relevanten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu erkennen sind.

Darüber hinaus erwies sich Sativex als wirksame Ergänzung zu Temozolomid, da es die Überlebensrate nach einem Jahr (83% Sativex vs. 44% Placebo; p = 0,042) und nach zwei Jahren (50% Sativex vs. 22% Placebo; p = 0,134) verbesserte. Schließlich wurde in einer randomisierten, doppelblinden Phase-2-Studie in Australien (veröffentlicht in der Zeitschrift Frontiers in Oncology im Jahr 2021; DOI: 10.3389/fonc.2021.649555) wurden zwei standardisierte Cannabisöle (THC/CBD-Verhältnis 1:1 oder 4:1) bei insgesamt 88 Patienten (45 in der Gruppe mit dem Verhältnis 1:1, von denen 29 die Studie abschlossen; 43 in der Gruppe mit dem Verhältnis 4:1, von denen 32 die Studie abschlossen) mit rezidivierten oder inoperablen hochgradigen Gliomen oral angewendet. Es wurde festgestellt, dass das Öl im Verhältnis 1:1 (aber nicht das Öl im Verhältnis 4:1) einige Parameter der Lebensqualität verbesserte, wie z. B. die körperliche (p = 0,025) und funktionelle (p = 0,014) Leistungsfähigkeit sowie die Schlafinduktion (p = 0,009), ohne signifikante unerwünschte Wirkungen zu verursachen. Anhand einer retrospektiven Kohorte von Fällen als Vergleichsgruppe wurden jedoch keine positiven Auswirkungen auf das Fortschreiten des Tumors festgestellt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die drei bisher durchgeführten klinischen Studien, wenn man sie optimistisch betrachtet, darauf hindeuten, dass "wo Rauch ist, da ist auch Feuer". Es ist jedoch klar, dass mehr solide klinische Studien zu diesem Thema erforderlich sind. In diesem Zusammenhang hofft man, dass wir in den kommenden Jahren wertvolle Daten aus mindestens zwei klinischen Studien erhalten werden: (I) eine offene Phase-2-Studie in Spanien, in der die Wirkung eines oralen THC/CBD-Präparats (Verhältnis 1:1) in der Erstbehandlung (d. h. nach einer Operation und gleichzeitig mit einer Standard-Chemo-Strahlentherapie auf Temozolomid-Basis) bei 30 Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03529448); und (II) eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-2-Studie, die im Vereinigten Königreich von The Brain Tumour Charity und GW Pharmaceuticals organisiert wird und in der die Wirkung von Sativex zusammen mit einer adjuvanten Standard-Temozolomid-Therapie bei 230 Patienten mit rezidiviertem Glioblastom untersucht wird (https://www.thebraintumourcharity.org/media-centre/news/research-news/phase-2-trial-cannabis-based-drug-glioblastomas).

Es bleibt zu hoffen, dass diese (und idealerweise weitere) robuste und gut konzipierte Studien ein für alle Mal klären werden, ob Cannabinoide wirklich in das sehr begrenzte pharmakologische Arsenal aufgenommen werden können, das heute für die Behandlung des Glioblastoms zur Verfügung steht. Wenn dies der Fall ist, könnte dies die Tür für klinische Versuche bei anderen Krebsarten öffnen.

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